Eine der größten Herausforderungen beim »Independent Publishing« ist, dass man zwar im Prinzip alles entscheiden kann, aber die limitierten Mittel oft nicht die Dinge ermöglichen, die man entscheiden wollen würde. Das betrifft viele Dinge, aber zuvorderst die »Königsdisziplin« des (Prä-) Veröffentlichungsprozesses, das Lektorat.
2. Lektorat
Ein richtiges Lektorat ist ungemein wichtig, aber auch teuer und zeitaufwändig, wenn es intensiv und akribisch geraten soll. Zugleich ist es verzichtbar oder wirkt zumindest so. Ein Cover braucht man immer, ein Lektorat könnte man theoretisch auch selbst oder improvisiert hinbekommen. Aber eben nur theoretisch, in der Praxis bekommt man arge Probleme, wenn man das Lektorat nicht ernst genug nimmt.
Der Lektor ist in der (modernen) Buchwelt eine Art Textdoktor und Produktdesigner, der dem Autor hilft, alles aus seinem Text herauszuholen. Er bringt ihn dazu, die richtigen Entscheidungen zu treffen und treibt ihm so einige Flausen aus. »Kill your darlings«, ist einer der Standardleitsätze im Lektorat und bezieht sich darauf, dass oft die Dinge, die dem Autor ganz besonders wichtig sind, eben nur für ihn wichtig sind, aber nicht unbedingt für die Leser. Der Autor verliebt sich in Charakterzüge einer Figur und betont sie, während der Leser zunehmend genervt mitkoppelt.
Lektoren sind nicht unfehlbar und schießen manchmal auch über das Ziel hinaus, aber man braucht sie. Das habe selbst ich in den letzten Jahren immer wieder gemerkt, obwohl ich quasi nur mit mir und meiner Agentin vor den Toren der Verlagswelt gezeltet habe. Ich habe mir immer über Testleser etc. Außenblicke »organisiert« und sehr viel an den Texten gearbeitet, kam aber immer wieder der Punkt, an dem ich den Lektor mitgedacht und Entscheidungen vertagt habe. Es tut weh, seine Lieblinge über den Todesfluss zu schicken. Man möchte nicht alleine den Abzug drücken und fühlt sich manchmal einfach verloren im Wald der Worte und zwischen den Meinungen und Entscheidungen, die darin möglich sind.
Ein richtiges Lektorat kostet vierstellige Summen. Das sprengt oft das Budget, man braucht Kompromissverfahren, die günstiger sind, aber trotzdem Qualität garantieren. Ich habe zu meinem Glück Daniele Raffaele Gambone für mich gewinnen können und mich mit ihm auf ein solches Kompromissverfahren geeinigt. Dieses besagt, dass er meinen Text liest, ihn aber nicht »en Detail« lektoriert, sondern mir ein möglichst genaues Gutachten schreibt. So spart er viel Zeit, delegiert fast alle Arbeit an mich und kann trotzdem seine Standpunkte deutlich machen.
Seine ersten Hinweise habe ich in monatelanger Arbeit umgesetzt. In den nächsten Tagen wird er mir ein neues Gutachten auftischen. Je nach dem, wie sein neuerlicher Eindruck ist, wartet entweder wieder viel Arbeit auf mich oder ich kann den Text für die Veröffentlichung feinschleifen. Die Frage, wie viel noch am Text zu tun ist, damit sein ganzes Potential gehoben wird, ist eine der großen Unsicherheiten in meinem Zeitplan. Und die Frage, wie schnell ich Änderungen hinbekomme, wird auch dadurch beantwortet, ob und welche Lieblinge er zum Abschuss freigibt und wie ich mich dazu positioniere. Ganz ohne Nervosität blicke ich also seinem nächsten Gutachten nicht entgegen, aber ich freue mich dennoch, davon zu lernen und daran zu wachsen.
Ein amüsanter Filmtipp zu diesem (erweiterten) Themenfeld ist der großartige Film Wonderboys.
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