Nichts tun

Unten findet Ihr ein paar Zeilen, die ich vor über zwei Monaten geschrieben habe. In dieser Nacht hatte ich das Gefühl, einiges verstanden zu haben und etwas von Wert berichten zu können. Dass ich den Beitrag nicht gepostet habe, zeigt, wie unsicher ich diesbezüglich bald wurde. Wahrscheinlich ist der Beitrag weniger Zeugnis davon, den einen Knoten durchgehauen zu haben, sondern eher der Versuch, ein paar von Ihnen sichtbar zu machen.
So oder so habe ich als Kardinalsfehler der letzen Jahre erkannt, dass ich alles in mir eingschlossen und nichts mehr fertig bekommen habe. Das führt nie zu irgendetwas. Der einsame innere Perfektionist ist der höllischte Zuchtmeister und ein sinnloser dazu. Als Künstler und generell als Mensch muss man produzieren und auch an der Resonanz lernen. So ist das Leben, das ist das Leben und es ist immer endlich. Es zählt nur der Versuch und jeder Moment hat seine Bedingungen, die Schritte eines Weges sind, für den man Fußstapfen braucht.
Ich werde mich also wieder auf den Weg machen und hier Fußstapfen hinterlassen. Es wird noch dauern, bis ich wieder richtig mit dem neuen Buch ins Fahrwasser komme, aber Seitenarme sind auch Teil des Weges und ich habe schon viele Ideen, die man hier nutzen kann.
Ob Beiträge wie der sehr lange unten irgendwem irgendetwas bringen, weiß ich gerade nicht. Ich habe mich gezwungen, mir diese Frage nicht mehr zu stellen. Als erster Startstapfen war er nötig, so viel ist sicher. Welche Resonanz er haben wird und welche weiteren Formate folgen, kann heute nicht Thema sein. Auch hier zählt nur der Versuch. Jetzt und beim nächsten Mal.

07.05. Nichts tun


Seit dem letzten Eintrag vor über zwei Jahren ist viel passiert und immer wieder hatte ich einen Moment zu fassen, der es hierhin schaffen sollte, aber alle zogen vorbei. Keiner war groß genug. Nicht die Entscheidung, mir eine Agentur suchen zu wollen oder die Frage, ob ich jemals wieder schreiben werde, nicht die verrückte Welt des Lockdowns, noch nicht einmal die Trennung und der Auszug aus der Familienwohnung. Nicht der Schock und nicht die Trauer und auch nicht das kleine Glück, in diesem mietgebremsten Berlin eine klein friedliche Wohnung gefunden zu haben, in der ich neu anfangen kann.
Das hängt sicherlich die Messlatte für diesen Eintrag in luftige Höhen, aber wie immer sind die großen Erkenntnisse und Momente etwas Individuelles und manchmal zu einfach und einleuchtend, um in ihrer Tiefe und Komplexität verstanden zu werden. Ich bin mir fast sicher, dass ich mich mit diesen Zeilen nicht begreiflich machen kann, aber wie immer schreibt man ja ohnehin zu einem großen Teil für sich und allein der Umstand, dass ich dieses Tor wieder öffnen, ist für mich etwas Bedeutsames, wohin es auch immer hinführen mag.

Ganz lange habe ich auf diesem Blog nichts mehr geschrieben, aber so oft ich konnte, habe ich im letzen Jahr noch an meinem Buch weiter gearbeitet. Auch während des Referandariats und auf dem kalten Exil der Couch in einer Wohnung, für die man Miete zahlte aber kaum noch Gast war. Wie immer musste ich schreiben und mich in diese erdachten Welten begeben, um ganz sein zu können. Ende des letzten Jahres habe ich einfach damit aufgehört und überhaupt nicht mehr geschrieben.
Vor ein paar Wochen habe ich wieder angefangen, aber nur in Form eines Tagebuchs für meinen Sohn. Ab und zu habe ich auch überlegt, etwas über mich zu schreiben, aber es ging nicht, alles war weg. Alles war nicht ich und zu viel ich. Warum ich jetzt auf einmal wieder schreiben kann, ist etwas rätselhaft, aber es hat mit der Einsicht zu tun, die ich oben angedeutet habe und für die ich irgenwie noch weiter ausholen muss, um sie begreifbar zu machen.

In den letzten Monaten habe ich mein Leben geordnet. Durch den Lockdown hatte ich als Lehrer doppelt so viel zu tun wie zuvor und die Tage waren eh schon recht lang bzw. kurz. Als ich kurz davor war, wirklich in die Knie zu gehen, habe ich mich damit befasst, wie ich der Welle(n) Herr werden kann. Ich habe tippen mit 10 Fingern gelernt, Schnellesen-Techniken wieder hervorgeholt und alles ausprobiert und alles studiert, was das Produktivitäts-youtube hergab.
Die Erkenntnisse, dass ich von Routine-Tätigkeiten aufgefressen wurde und nie wieder würde schreiben können, wenn ich nicht viel effizienter im Job und allem werde, war dabei nur eine Facette. Irgendwie ging es um ein umfassendes Aufwachen. Darum, die Dinge auf die eigene Weise zu tun, egal in welchem Beruf man ist. Das zu machen, was einen aktiviert, egal, ob der typische Lehrer so etwas je machen würde und wie viel es mit Unterricht und Methodik und Notenstandards und dem ganzen ander Sch*** zu tun hat.
Ich habe immer gewusst, dass ich mein Potential nicht im Ansatz ausgeschöpft habe und habe daran gelitten, dass ich trotz all der Bemühung nur graduell etwas daran ändern konnte. Immer war ich der, der mit 30 Bällen jongliert und dann nur einige davon eher zufällig und zur eigentlichen Unzeit ins Tor bekommt. Ich habe erkannt, dass ich Lernen immer geliebt, aber etwas grundsätzlich dabei falsch gemacht habe. Etwas, das alles verbaut hat, das omnipräsent knapp daneben und auch vorbei war.
Unter dem Strich habe ich also erkannt, dass ich das Lernen noch einmal neu lernen muss und dieses Lernen müssen, weit darüber hinaus ging, den Moment zu meistern und mich wieder in die Lage zu versetzen, wider schreiben und dabei noch ein guter Lehrer sein zu können. All das musste zu den Anfängen zurückgehen, um in die Zukunft weisen zu können. Dahin, wo man nicht gehen kann, sondern nur eingelassen wird.

Alles, was ich seit dem letzten Eintrag und auch schon davor gemacht habe, hatte etwas mit dem „Tu, was Du willst“ Atrejus in der Unendlichen Geschichte zu tun. Damit, „alle“ angefangenen Geschichten zu Ende zu leben, um danach wieder eine neue Welt erschaffen zu können. Das hatte nichts damit zu tun, dass ich in die Welt hinaus musste, um mich auszuprobieren, sondern eher um den Gang nach innen, um das Aufspüren der Kämpfe, die man nicht genug zu Ende gekämpft hat und die wie faule Stellen irgendwo in einem herumdrückten und Wetterwechsel provozierten. Auch aus diesem Grund habe ich mir in den letzten 2 Jahren fast wie besessen ein System erschlossen, das mich auf der Gitarre frei macht und mich zur Musik zurückführt, die so etwas wie meine erste Liebe war und auch von mir zurückgelassen wurde vor langer Zeit. Ich musste es noch einmal richtig machen und habe enorme Ressourecen darauf verwendet und den Knoten irgendwann sogar durchgehauen.
Die neuen Bemühung um Vollständigkeit und Effizienz setzten darauf auf und sind sicherlich nicht abgeschlossen, aber es ist in den letzten Monaten immer klarer geworden, dass es Richtung Licht geht in dieser Hinsicht und heute gab es so etwas wie ein kleinen Durchbruch, dessen Schilderung ich wahrscheinlich deswegen so lange aufschiebe, weil er in den Augen der Leser mickrig klingen muss und ich bei genauer Betrachtung gar nicht weiß, wie ich ihn beschreiben soll.

Bei all meinen Bemühungen habe ich immer gewusst, dass es nicht nur um Lernen sondern irgendwie um meinen Seelenkern geht. Um die tiefen Ängste und Komplexe, die eigene Begrenztheit und das magische, was man doch innerhalb dieser Grenzen zu schaffen vermag. Es war immer ganz viel Sparring mit mir und meinen Dämonen, im Dienste all der möglichen Ichs, die sich unter ihrer Dominanz verkrochen hatten.

Eine dieser Übungen war eine Lektion meiner Schenllese-APP, bei der Nummern für einen winzigen Sekundenbruchteil aufblinkten und man sie danach eintippen sollte. Ich war immer ganz gut darin, aber bei den siebenstelligen Zahlen habe ich mir meistens zwar die Zahlen merken können, aber beim Tippen immer Zahlendreher reingebracht. Meistens genau einen. Ein Zahlenpaar war fast immer verdreht, es war zum …
Ich habe das irgendwann im letzen Jahr aufgegeben (relativ schnell wie immer, wenn mich etwas frustriert), aber in der letzten Wochen habe ich gemerkt, dass das einer dieser Dämonenkämpfe war, denen ich mich stellen musste und habe wieder damit angefangen. Heute habe ich herausgefunden, warum ich es nicht hinbekommen habe und wie es richtig geht (und wie immer wusste ich das alles vorher, hatte aber keinen effektiven Zugang dazu). Und irgendwie konnte ich mir damit wenigstens für den Moment fast alle Blockaden erklären, die vorher allesamt rätselhaft waren, so unglaubwürdig das sogar für mich selbst auch klingt.

Das Ganze ist nämlich so einfach, das man es nicht wirklich glaubt, ehe man es gesehen hat. Wenn man bei diesen Zahlen (und bei fast allem anderen) auf die richtige Weise hinsieht, merkt sich das Gehirn die Zahlen. Immer und fehlerfrei. Auch wenn man gar nicht mal eine Ziffer benennen kann, sind alle Zahlen da. Das sagenumwobene fotographische Gedächtnis ist viel normaler und verbreiteter, als man denkt. Der Fehler und das Scheitern kommen dann, wenn man sie festhalten und hervorholen will. Das Reinbringen ist das kleinere Problem als das Rausholen. Auch das ist eine Binsenwahrheit, aber der Umgang damit ist hoch komplex und so einfach zugleich.
Als ich das Problem erkannt habe, habe ich es immer mehr geschafft, mir die Zahl nicht aktiv zu merken, sondern sie nur einwirken zu lassen und höchstens beim Tippen die Zahlen mitzusprechen niemals aber davor, denn dann ging meistens wieder etwas durcheinander. Je weniger ich machte, desto besser, denn der ganze Trick dabei ist Vertrauen und Entspannung, das Vermögen weniger zu tun, um mehr zu erreichen. Letztendlich den Faktor Ego-Mensch und die Ambitionen auszuschalten, um die Ambitionen erfüllt zu sehen, weil alles ohnehin schon da ist, für das man sich abstrampelt.

Ich habe es gesagt, es wirkt wie nichts und ich wusste all das vorher, aber trotzdem trifft das irgendwie den Kern. Kunst war immer Rettung und Untergang gleichzeitig für mich. Der beste Blitzableiter für meine Ambitionen und die tief in mir verwurzelte Unfähigkeit, mit der Welt klarzukommen, weil schon nach Sekunden diese Rastlosigkeit kam, diese Verlorenheit, das Nichts, das alle Farben aufzehren musste, wenn man es kommen ließ. Ich musste Musik machen und Bücher schreiben. Es war existenziell wichtig, nicht nur um die Welt auszuhalten, sondern um sie damit schön und magisch zu machen. Lebbar. Freundlich.
Und es lag nahe, damit etwas erreichen zu wollen, wenn es so wichtig war und so viel Zeit damit zugebracht wurde, aber auch diese Wichtigkeit war Motor und Bremse gleichzeitig. Der Garant dafür, dass alle Wege im Grunde Kreise waren und es immer zwei Schritte vor und drei zurück ging.

Bei meinen Versuchen mit der Gitarre habe ich schon gemerkt, dass ich besser Gitarre üben kann, wenn ich mich nebenher auf youtube weiterbilde und zum Beispiel Recherche betreibe oder Unterricht vorbereite. Es hing so viel Wollen und Angst an allem, dass alles zu schwer und zu pseudofokussiert war. Es hing noch die Panik des Weltflüchtenden an allem, der wieder zurück will, aber nicht weiß, wie er sich umdrehen soll. Etwas vom Fokus abzuziehen und dabei mehr Zufriedenheit und Entspannung zu bekommen, hat die Dinge deutlich verbessert.
Mittlerweile habe ich beim Lernen grundsätzlich gemerkt, wie ambivalent die Sache mit dem Willen und der Bedeutsamkeit ist. Ich hatte zu viel davon, stand mir selbst im Wege und je nötiger Geduld wurde, desto größer wurde die Rastlosigkeit. Am Beispiel der APP habe ich zum Teil krampfhaft versucht, die Zahlen aus meinem Hirn zu ziehen und hätte mich einfach zurücklehnen müssen, um sie aufzusagen. Das gilt für alle Bereiche des Lebens und auch für das Schreiben. Es war der Webfehler in allem, was ich dem Leben anbieten konnte und aus ihm zu nehmen vermochte. Das hat ganz viel Ebenen. Ich habe zu viel gemacht und als Reaktion darauf noch mehr gemacht. Das Tempo erhöht, um die Kurve sicherer zu fahren oder sie wenigstens schneller zu beeenden. Das war alles riskant und am riskantesten war es, diesen Knoten in den letzen Jahren durchzuhauen, indem ich noch mehr tue und fast keine einzige Pause zulasse, um mich tatsächlich einmal im Guten selbst zu überholen und die Dinge in ihrer eigenlichen Verbindung zu sehen. Mich selbst und all den Nippes. Die möglichen Typen in mir, die sich im Sturm längst verkrochen hatten.
In gewisser Weise habe ich dadurch ganz viel verloren, es war ein einsamer Kampf, es war die einzige mir mögliche Weise, ihn zu begehen.

Damit ist vieles klar, aber wenig geklärt. Ich habe hier schon einmal über den Kommentar des einen Schreibdozenten gesprochen, der 2014 mein Schreiben sehr gut fand, aber irgendwie das Gefühl hatte, ich schreibe mit angezogener Handbremse. Er konnte es nicht besser beschreiben und wir beide haben eine Ahnung gehabt, was er meinte, ohne es wirklich zu verstehen oder das Problem bearbeiten zu können.
Das letzte Mal, als ich das hier geschrieben habe, meinte ich die Handbremse gelöst zu haben und wahrscheinlich war das ein bisschen der Fall, aber nur ein bisschen. Sicherlich versteh ich noch nicht alles davon, aber ich ahne, dass noch viel mehr geht, man aber die Worte oder Projektionen in die Zukunft vergessen sollte, weil alles auf einer anderen Ebene funktioniert. Auf der Ebene des Machens und in Kommunikation mit Ebenen und Bereichen von einem selbst, in der „digitale Informationen“ wie Worte nur unzureichend sind. So unzureichend und hilflos wie der Versuch, die Zahlen in den spitzen Teil unseres Bewusstsein zu ziehen, um sie als verbriefte Eigenleistung des Verstandes aufzusagen, anstatt die Dinge passieren zu lassen.

Lehne ich mich also zurück und warte, dass mir Bücher und alle anderen Dinge in den Schoß fallen? Im Gegenteil. Der Fokus wird schärfer und die Bemühungen werden ernsthafter werden, aber in Harmonie mit den machtvolleren Teile meiner Selbst sein. Der Verstand und das Bewusstsein sind die einzigen Instanzen, mit denen wir navigieren können, aber ich weiß, dass sie nur Tauchbojen setzen für all die Schätze in uns und man diese anders bergen muss. Das sind große Worte, und ich habe im Grunde keine Ahnung, wo ich die besten Tauchbojen setzen muss, aber die Frage oder das Bemühen darum ist schon wieder Teil des Problems. Es zählt nur der Versuch, das Wagnis und das Lernen daraus, was nur einsetzen kann, wenn man etwas aus der Tiefe holt und im Sonnelicht präsentiert. In dem man sich wagt zu sein, was im Kern erklärt, warum es so wichtig war, auch hier wieder ein paar Zeilen zu schreiben.