Seit Ende November ist »Berlin Metropolis – Stunde der Rache« draußen. Fast alle Reaktionen, die ich zu dem Buch kenne, sind sehr gut. Meistens hört man so etwas wie Begeisterung heraus. Die Leute lesen das Buch und feiern es, das freut mich sehr. Sicherlich ist der wichtigste Baustein für meinen Weg ein gutes Buch, trotzdem kann ich keinen Hehl daraus machen, dass ich mir von den Verkäufen (deutlich) mehr erhofft habe.
Seit Jahren habe ich über meine Agentin und am Ende direkt mit einigen großen Verlagen in Verbindung gestanden. Sie haben Talent gesehen und lange intensiv diskutiert, ob sie das Zeug mit der großen Fanfare in den Markt drücken oder es sein lassen. Am Ende haben es alle sein gelassen, weil sie das Risiko gescheut haben. Sie haben die Qualitäten gesehen und mit sich gerungen, aber befürchtet, dass es sich nicht verkaufen lässt.
Ich saß zuhause, habe wie Gustav Gans meinen Hut gefressen und war davon überzeugt, dass es ein Erfolg werden wird, gerade wegen der festgestellten Qualität. Als »Berlin Metropolis« rauskam habe ich gehofft, dass die Resonanzen mir Recht geben und ich den Verlagen insgeheim eine freudige Nase drehen kann. Nun muss ich mir wohl eingestehen, dass (einstweilen) die Verlage Recht bekommen. Ich habe in gut einem Monat schon weit über 500 eBooks verkauft, aber ich hatte deutlich andere Ziele.
In so einem Fahrwasser weint man ein paar Krokodilstränen und leidet auch an Dingen, die positiv gemeint sind. Dass es ein »schlaues Buch« ist, dass schlaue Leser braucht, klingt nun ziemlich einsam. Die Einsicht, dass das Buch etwas Besonderes ist, trifft auf die zur Erfahrung gewordene These, dass der Kindle-Markt auf Amazon anscheinend tatsächlich nichts Besonderes mag. Man liest die bekannten Formate in den bekannten Uniformen, Ausreißer werden nur mit äußerster Vorsicht genossen. C´est la vie…
Sei´s drum. Das sind Augenblicksbetrachtungen eines Wegbeginns. Am Ende des Tages war mein (vermeintlich) Sicherheit garantierendes Hauptargument gegenüber den Verlagen, dass ich ein Kämpfer bin und nicht aufgeben werde und kann, weil das Schreiben für mich Leidenschaft und Berufung ist. Das Argument bleibt bestehen, nur meine Position ist nun besser. Vorher konnte ich es nur im Stillen beschwören und musste förmlich manisch und verzweifelt klingt, jetzt kann ich es mit der gebotenen Zuversicht und Konsequenz unter Beweis stellen.
Ich werde den langen Atem auch dadurch zeigen müssen, dass ich weiter Marketing mache und dergleichen, einstweilen habe ich mich aber mit Volldampf auf die Überarbeitung des zweiten Teils gestürzt, der in vielerlei Hinsicht noch einen drauf setzt. Das reißt auch mich ehrlich gesagt immer wieder mit, es macht mir aber auch Angst. Wenn ich an die Vorsicht gegenüber dem Besonderen und Komplexen denke, kann ich mich auf eine noch deutlichere Polarisierung einstellen, aber man kann eben nicht aus seiner Haut. Die Segel sind eh längst gesetzt und der Lagerraum ist voll. Der zweite Teil umfasst ca. 600 Seiten. Der Sturm mag kommen, wenn er will, ich werde ihn zu nehmen lernen.
Als kleinen Vorgeschmack auf den zweiten Teil, bekommt ihre hier einfach mal das Kapitel, das ich gerade gelesen habe. Es setzt kurz vor dem ersten von zwei langen Showdowns an ohne zu Spoilern. Und es stellt vier der Figuren vor, die im ersten Teil noch nicht aufgetaucht sind. Ich hoffe, es gefällt Euch!
5. Vasquez Mission
Der Beginn von Frucht-Helenes Show bediente alle erwarteten Klischées. Ihre Ballettmädchen warfen zum Klang der Swingband ihre Beine in die Höhe und zeigten die süßen Versuchungen einer wilden, untergegangenen Zeit. Die das Ballett flankierende Freakshow war nicht so auf Monströsitäten abgestimmt wie in den abgerisseneren Clubs des Viertels, dafür waren die Akrobaten besser. Sie sprangen mit einer Leichtigkeit Saltos und Flickflacks zwischen die Mädchen, dass man an der Schwerkraft zweifelte. Sie wirbelten herum und blieben im Engtanz mit den Mädchen ganz die beherrschten Gentlemen, die förmlich dazu gezwungen wurden, an den exquisiten Stellen Hand anzulegen und den Mädchen in ambitionierte Verrenkungen zu folgen, die im Nebel des Bühnenrauches immer anrüchiger gerieten.
Das bunte Treiben schien längst auf dem Weg zu Dingen, die in Etablissement wie der Schwarzen Rose zum Standardrepertoire gehörten, in dieser Halle aber zu erstaunten Rufen hinrissen. Doch mit Helenes Auftritt änderte sich die Stimmung schlagartig. Die Bewegungen der Damen blieben lasziv und die Herren folgten ihnen weiter in die lustvollen Vereinigungsbewegungen, aber Helene stufte sie alle mit ihrem ersten Ton zum Ornament herab. Die Tänzer blieben Beiwerk, das man im Reigen der Farben und Klänge nicht mehr missen wollte, und es gleichzeitig kaum noch wahrnahm, weil alle Aufmerksamkeit sich auf Helene fokussierte.
Vasquez hatte sich nie mit ihr beschäftigt und auf ihren Konzerten eine künstliche Welt erwartet, die zwar mit dem Kaputten und Wilden spielte, die Zuschauer aber nur in kalkulierter Weise in anrüchige Tagträume entführte. Er hatte eine professionelle Einheit von Produkt und Show erwartet, die auf Reize und Verlockung setzte und mit genug Talent aufwartete, dass man daran nichts auszusetzen hatte. Die Show bot auch alles an anrüchigen Elementen, die er vorausgeahnt hatte, aber sie packte ihn von der ersten Minute. Und die Fragilität, mit der Helene ihre Melodien in die Halle hauchte und sich gleichzeitg so nah und so unerreichbar fern vor den Augen aller aufbaute, raubte ihm fast den Atem. Trotz der vielen Schminke wirkte sie natürlich und blass zugleich. Sie schien zu zittern und den Halt der Tänzer, den sie auch ihr ab und an gewährten, dringend zu brauchen. Dennoch thronte sie mit so einer Grazie über allem, dass Vasquez in seinem Sitz zurücksank und träge dem Wasser in seinen Augen beim Zerfließen zusah.
Die halbe Zeit der letzten Jahre hatte er in Varietés verbracht. Er hatte mit Sensationen seine Zeit verplempert und niemals das ernst genommen, was tief darunter in ihm geschlummert hatte. Was mehr wollte und war als der Glitzer der Showperlen verhieß und ihn an das erinnerte, was sein Leben eigentlich war und sein sollte. Eine halbe Ewigkeit hatte er in die Verführung eingewilligt, obwohl er immer gemerkt hatte, wie sehr sie ihn verdarb. Obwohl er sah, wie halb sie ihn machte und von allem entfernte, an das auch er mal geglaubt und beim Fahneneid noch voller Inbrunst heruntergebetet hatte.
Vasquez hatte in der verdrehten Welt des Viertels eine Rolle gelebt und dabei sich selbst vergessen und auch wenn der Cognac ihm in seiner Entschlossenheit zur Seite stand und die nie gelebte Welt deutlich sichtbar das Salzwasser in seine Augen presste, war er sich sicher, dass er es darauf ankommen lassen wollte. Er murmelte zu Ada, dass er Getränke holen ging und stahl sich möglichst unauffällig an den anderen Zuschauern vorbei, die wie verzaubert auf die Bühne blickten. Vasquez Trunkenheit reichte nicht für einen Plan und er hätte ewig weiter in den Sessel sinken und ihr zuhören können, aber Helene hatte ihn bei der Seele gepackt. Bei dem Teil, den er wund gelebt und mit Müll überdeckt hatte und der nun kein Minute länger darauf warten wollte, freigespült zu werden.
Vasquez hatte noch immer keine Ahnung, wie er das entführte Mädchen finden sollte, aber hier unten war sie sicher nicht. Und in der Stimmung, in der sich befand war er erstens energiegeladen genug, um zur Not alle Flure nacheinander abzulaufen und zweitens so sicher, im Einklang mit dem Universum zu handeln, dass er das Gefühl hatte, im Zweifel zum richtigen Zimmer gelenkt zu werden.
Unversehens und viel schneller als ihm lieb war, geriet er in Kontakt mit einem Zeichen tragenden Boten, hatte aber arge Zweifel, dass der in Zusammenhang mit seinem schicksalhaften Auftrag stehen konnte. Er hatte sich von Ada fortbewegt und den anderen Ausweg aus der Reihe genommen. Nun musste er feststellen, dass die Hand die an sein Jackett griff und ihn aufhalten wollte, zu einem breit grinsenden Schindler gehörte.
»Wohin des Weges junger Herr Lancelot?«, flötete der rotbackige Kommissar und funkte mit seinen Augen Schadenfreude. Schindler hatte immer gewusst, dass Vasquez Sprüche Koketterie waren und in Wahrheit jeder Mann ein Fan von Helene sein musste.
»Getränke holen«, murmelte Vasquez ertappt und zeigte auf einen Punkt nahe des Oberranges. Schindlers Grinsen wurde noch breiter.
»Getränke gibt es aber da hinten.«
Verärgert sah Vasquez ihn an. Warum zum Teufel sollte er gerade Zeit dafür haben, die Getränkezonen zu lokalisieren? Er hatte weitaus schwierigere Prüfungen zu bestehen und konnte beim besten Willen nicht Schindlers Schadenfreude als Start in ein derart heikle Mission hinnehmen.
»Pissen muss ich auch noch. Und zwar natürlich davor«, fügte er schnell an und stahl sich davon. Eilig stieg er die Treppe zum Ausgang hinauf und merkte an der Hand, die sich auf seine Schulter niedersenkte, dass irgendetwas an seiner Geschichte nicht einmal glaubhaft genug für Schindler gewesen war. Genervt drehte er sich um und starrte direkt in Schindlers Augen.
»Ich habe es dir gesagt, Manni. Ich koche die Suppe mit. Und ich sehe dir auf 137 Meter Entfernung an, dass du gewaltig was am Kochen hast.«
Hilflos zeigte Vasquez zur Bühne.
»Aber Helene.«
Schindler winkte ab.
»Wenn wir diesen Luke haben und die Karriere endlich so läuft, wie sie soll, ziehe ich mir so etwas jede Woche rein, keine Sorge.«
Vasquez seufzte und drückte die Saaltür auf. Er hatte schon zu viel Erfahrung mit Schindlers Hartnäckigkeit gesammelt, dass er keinen Versuch unternahm, ihn umzustimmen. Als fairen Ausgleich verschwieg er ihm, dass es ihm keineswegs um den flüchtigen Luke, sondern das vermisste Mädchen ging, von dem er ganz nebenbei überhaupt keine Ahnung hatte, wo genau er sie suchen sollte.
Schweigend ging er zum Fahrstuhl hinauf und drückte kurz entschlossen den Knopf für die Dachetage. Schindler prüfte nur mäßig unauffällig seine Waffe und sonnte sich schon in zukünftigen Jagdtrophäen, doch noch ehe die Tür des Fahrstuhls zugleiten konnte, bekam die Jagdgesellschaft einen weiteren Teilnehmer. Mit Siegermiene glitt Ada in die Fahrstuhlkabine und knuffte Vasquez in die Seite.
»Keine Verbrecherjagd ohne mich, mein Freund.«
Vasquez nickte resigniert. Er sah seinen heroischen Plan in sich zusammenfallen und obwohl das Universum dieses ebenso ahnungslose wie exquisite Aufgebot unmöglich als adäquate Hilfe bezeichnen konnte, bemühte er sich, den Glauben zu bewahren und alle Fragen nach Details seiner ausgefeilten Mission mit wissender Schweigsamkeit zu kontern.
Mit zunehmender Fahrtdauer wurde seine Position immer unangenehmer. Fast erleichtert stellte er fest, dass die Fahrstuhltür für einen weiteren Passagier aufglitt. Einen Moment lang war er perplex, als er das Gesicht sah. Erst als Schindler mit einem Triumphschrei auf Luke zustürzte, reagierte Vasquez und stellte dem jungen Kollegen ein Bein. Mit ungebremster Verve flog Schindler aus der Bahn, knallte mit dem Kopf gegen die Eisenkante der Kabine und sackte mit einem Stöhnen zusammen.
Vasquez sah Luke an, wie aufgeregt er war. Beschwichtigend hob er die Hände und schob sich vor Ada.
»Keine Sorge, für dich haben wir gerade keine Zeit. Wir müssen ein Mädchen retten.«
Mit finsterer Miene musterte Luke ihn.
»Ich ja auch«, sagte er und stieg in den Fahrstuhl.
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