Ich habe darüber geschrieben, dass eine wichtige Einflussgröße für meinen weiteren Zeitplan das nächste Gutachten meines Lektors ist. Gestern ist es eingetroffen und es hat mich im ersten Moment etwas umgehauen. Das passiert vor der Zielgeraden eines Textes oft, denn das Lektorat soll ihn besser machen, indem Schwächen behoben und Stärken ausgebaut werden. Sprache und Handlungsanweisungen der Lektoren zielen dabei gerne und ohne Umschweife auf die Eingeweide des Autors. Dahin, wo es weh tut und so, dass es weh tut, damit der Autor gar nicht erst auf die Idee kommt, das als vermeintliche Einzelmeinung auszusitzen.

So auch gestern. In einer knappen Mail erläuterte Daniele mir, dass sein Gutachten und die Anmerkungen im Text »der Natur der Sache gemäß« überwiegend die negativen Aspekte thematisierten. Über die positiven könnten wir uns irgendwann später am Telefon austauschen. Mit anderen Worten: Das Positive ist gerade nicht so relevant. Ich soll mich nicht mit Lob und Selbstbestätigung aufhalten, sondern mich lieber voll und ganz auf die Schwächen konzentrieren und sie abfedern oder sogar zu Stärken ummünzen.

Das klingt folgerichtig und sinnvoll, aber jeder hört auch gerne mal ein Lob. Der eitle Künstler, der mit seinem Werk auch ein wenig seine Seele herauskehrt und sich verletzlich macht, erst Recht. Zudem darf man nicht vergessen, dass ich schon Jahre mit dem Roman ringe, ihn unzählige Male überarbeitet habe und naturgemäß mit dem Punkt liebäugle, an dem ich aus diesen Verbesserungsschleifen entlassen werde und gesagt bekomme, dass alles nun gut und veröffentlichungsreif ist. Nun, der Kelch ist an mir vorübergegangen und nach dem ersten Frust bin ich sogar sehr froh darüber.

Frust kommt bei solchen Feedbackrunden auch immer auf, weil wie oben angedeutet nichts verpackt, sondern so klar und direkt wie möglich angesprochen wird. Der Lektor rechnet damit, dass der Autor irgendwann überarbeitungsmüde wird und zudem sein Werk schützen möchte. Wenn der Kommentar etwas nicht als wirklich schlecht markiert, läuft er Gefahr, dass der Autor die Anmerkung als Kann-Bestimmung umdeutet und daran vorbeiliest.

Diese Direktheit kann dabei durchaus amüsant sein. Einige Beispiele:

»Abkürzungen bitte ausschreiben. Das ist schließlich ein Roman und nicht das Amtsblatt.«

»Als Lösung ein bisschen klischeehaft. Geht gerade noch so durch.«

«Auch das ist natürlich eine reichlich klischeehafte Lösung, aber meinetwegen. Irgendwie hat sie auch was.«

Wie man sieht sind das – ob nun zufällig oder nicht – mehrheitlich Stellen, an denen ich sogar bei meiner Ursprungslösung bleiben durfte.

An anderen Stellen drücken sich die Worte etwas tiefer in die Eingeweide:

»Die Romanfiguren können sich ganz unverkrampft über solche Realitäten unterhalten. Dein auktorialer Erzähler darf aber nicht so schlampig sein. Der ist im Grunde dazu verpflichtet, auch die weniger bewanderten Leser wenigstens ausreichend in Kenntnis zu setzen. Andernfalls hat er schlicht und ergreifend versagt.«

Versagen will man nicht. Man will eigentlich auch nach der xten Capriole durchaus gerne quittiert bekommen, dass der Erzähler einen rundum guten Job macht, aber dieser Wille wartet einstweilen auf dem Ponyhof. Und es ist gut, jetzt den Kopf gewaschen zu bekommen, als nach der Veröffentlichung zu merken, dass man nicht das ganze Potential des Textes ausgeschöpft hat.

Shuttle

Entgegen von Danieles Ankündigung steht aber auch viel Positives am Rand der über 400 Seiten Text. Die Standardformel ist »schon ganz gut«, aber es geht auch euphorischer, auch wenn selbst implizites Lob im »Lektorensprech« oft einen Beigeschmack bekommt. Das zeigte sich, als von der Einordnung des Buches und von der Zielgruppe die Rede war.

»Meine Einschätzung zum Buch und seinem möglichen Publikum: Ich halte Deine Reihe mit den besseren SciFi-Büchern von Bastei-Lübbe vergleichbar und sehe publikumstechnisch mögliche Schnittmengen mit der Leserschaft der ???-Reihe.«

Der Künstler neigt auch ohne Wein und Gesang zur Hybris. Ihm reicht es nicht, dass er mit den »besseren Büchern von Lübbe« verglichen wird. Ihn trägt die Nase in höhere Sphären, aber der Künstler ist ja auch noch nicht fertig mit der Arbeit. Im Gegenteil, es gibt noch einiges zu tun. Gestern Abend hat mich das müde gemacht, heute belebt es mich. Ich freue mich darauf, noch tiefer in die Welt meines Buches einzutauchen und es noch besser zu machen. Lebenslanges Lernen macht auch vor Autoren nicht Halt. Erst recht nicht vor Anfängern wie mir.

Dazu Daniele:

»Du solltest einsehen, dass Du Dich da gleich zu Beginn an einem schwierigen Genre versuchst, das selbst für erfahrene und versierte Autoren eine echte Herausforderung darstellt. Im Grunde brauchst Du jetzt – wie so ziemlich alle Schriftsteller – einfach ein richtig gutes Lektorat.«

Mein Modell mit Gutachten und Anmerkungen ist damit an seine Grenzen gestoßen. Es gilt, etwas Neues zu finden. Attacke!