Ich komme immer noch nicht dazu, viel zu schreiben, aber wagen wir doch einfach einen weiteren Blick ins Buch und folgen Vasquez ein Stück weiter in die düstere aber glitzernde Welt des Triadenviertels …

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Die Show bot alles an anrüchigen Elementen, die Vasquez vorausgeahnt hatte, aber sie packte ihn von der ersten Minute. Die Fragilität, mit der Helene ihre Melodien in die Halle hauchte und sich gleichzeitig so nah und so unerreichbar fern vor den Augen aller aufbaute, raubte ihm fast den Atem. Trotz der vielen Schminke wirkte sie natürlich und blass zugleich. Sie schien zu zittern und den Halt der Tänzer, den sie auch ihr ab und an gewährten, dringend zu brauchen. Dennoch thronte sie mit solch einer Grazie über allem, dass Vasquez in seinem Sitz zurücksank und träge dem Wasser in seinen Augen beim Zerfließen zusah.

Die halbe Zeit seiner Jahre im Viertel hatte Vasquez in Varietés verbracht. Er hatte mit Sensationen seine Zeit verplempert und niemals das ernst genommen, was tief darunter in ihm mehr wollte und war als der Glitzer der Showperlen verhieß. [ nng Eine halbe Ewigkeit hatte er in die Verführung eingewilligt, obwohl er immer gemerkt hatte, wie sehr sie ihn verdarb und von allem entfernte, an das auch er mal geglaubt und beim Fahneneid noch voller Inbrunst heruntergebetet hatte.

]In der verdrehten Welt des Viertels hatte er eine Rolle gelebt und dabei sich selbst vergessen. Auch wenn der Cognac ihm wesentlich in seiner Entschlossenheit zur Seite stand, war er sich sicher, dass er es nun darauf ankommen lassen und sich neu erfinden wollte. Er murmelte Ada zu, dass er Getränke holen ging und stahl sich möglichst unauffällig an den anderen Zuschauern vorbei, die wie verzaubert auf die Bühne blickten. Vasquez Trunkenheit reichte nicht für einen Plan und er hätte ewig weiter in den Sessel sinken und ihr zuhören können, aber Helene hatte ihn tief in seiner Seele gerührt. In dem Teil, den er wund gelebt hatte und der nun keine Minute länger auf Linderung warten wollte.

Vasquez hatte noch immer keine Ahnung, wie er das entführte Mädchen finden sollte, aber hier unten war sie ganz sicher nicht. Und in der Stimmung, in der er sich befand war er erstens energiegeladen genug, um zur Not alle Flure nacheinander abzulaufen, und zweitens so sicher, im Einklang mit dem Universum zu handeln, dass er das Gefühl hatte, im Zweifel zum richtigen Zimmer gelenkt zu werden.

Unversehens und viel schneller, als ihm lieb war, geriet er in Kontakt mit einem Zeichen tragenden Boten, hatte aber arge Zweifel, dass der in Zusammenhang mit seinem schicksalhaften Auftrag stehen konnte. Er hatte sich von Ada fortbewegt und den anderen Ausweg aus der Reihe genommen. Nun musste er feststellen, dass die Hand die an sein Jackett griff und ihn aufhalten wollte, nicht zu Ada sondern zu einem breit grinsenden Schindler gehörte.

»Wohin des Weges, junger Herr Lancelot?«, flötete der rotbackige Kommissar voller Schadenfreude. Schindler hatte immer gewusst, dass Vasquez Sprüche Koketterie waren und in Wahrheit jeder Mann ein Fan von Helene sein musste.

»Getränke holen«, murmelte Vasquez ertappt und zeigte auf einen Punkt nahe des Oberranges. Schindlers Grinsen wurde noch breiter.

»Getränke gibt es aber da hinten.«

Verärgert sah Vasquez ihn an. Warum zum Teufel sollte er gerade Zeit dafür haben, die Getränkezonen zu lokalisieren? Er hatte weitaus schwierigere Prüfungen zu bestehen und konnte beim besten Willen nicht Schindlers Schadenfreude als Start in eine derart heikle Mission hinnehmen.

»Pissen muss ich auch noch. Und zwar natürlich davor«, fügte er an und stahl sich davon. Eilig stieg er die Treppe zum Ausgang hinauf und merkte an der Hand, die sich auf seine Schulter niedersenkte, dass irgendetwas an seiner Geschichte nicht einmal glaubhaft genug für Schindler gewesen war. Genervt drehte er sich um und starrte direkt in Schindlers Augen. So leicht ließ der sich aber nicht aus dem Konzept bringen.

»Ich habe es dir gesagt, Manni. Ich koche die Suppe mit. Und ich sehe dir auf 137 Meter Entfernung an, dass du gewaltig was am Kochen hast.«

Hilflos zeigte Vasquez zur Bühne.

»Aber Helene.«

Schindler winkte ab.

»Wenn wir diesen Luke haben und meine Karriere endlich so läuft, wie sie soll, ziehe ich mir so etwas jede Woche rein, keine Sorge.«

Vasquez seufzte und drückte die Saaltür auf. Er hatte schon so viel Erfahrung mit Schindlers Hartnäckigkeit gesammelt, dass er keinen Versuch unternahm, ihn umzustimmen. Als fairen Ausgleich verschwieg er, dass es ihm keineswegs um den flüchtigen Luke, sondern um das vermisste Mädchen ging, von dem er ganz nebenbei überhaupt keine Ahnung hatte, wo genau er sie suchen sollte.

Schweigend ging er zum Fahrstuhl hinauf und drückte kurz entschlossen den Knopf für die Dachetage. Schindler prüfte nur mäßig unauffällig seine Waffe und sonnte sich schon in zukünftigen Jagdtrophäen, doch noch ehe die Tür des Fahrstuhls zugleiten konnte, bekam die Jagdgesellschaft einen weiteren Teilnehmer. Mit Siegermiene quetschte sich Ada in die Fahrstuhlkabine und knuffte Vasquez in die Seite.

»Keine Verbrecherjagd ohne mich, mein Freund.«

Vasquez nickte resigniert. Er sah seinen heroischen Plan in sich zusammenfallen und bemühte sich, alle Fragen nach Details seiner ausgefeilten Mission durch wissende Schweigsamkeit zu kontern. Mit zunehmender Fahrtdauer wurde seine Position immer unangenehmer. Fast erleichtert stellte er fest, dass die Fahrstuhltür sich für einen weiteren Passagier öffnete. Einen Moment lang war er perplex, als er das Gesicht sah. Erst als Schindler mit einem Triumphschrei auf Luke zu stürzte, reagierte Vasquez und stellte dem jungen Kollegen ein Bein. Mit ungebremstem Schwung flog Schindler aus der Bahn, knallte mit dem Kopf gegen die Eisenkante der Kabine und sackte mit einem Stöhnen zusammen.

Vasquez sah, wie aufgeregt Luke war, hob beschwichtigend die Hände und schob sich vor Ada.

»Keine Sorge, für dich haben wir gerade keine Zeit. Wir müssen ein Mädchen retten.«

Mit finsterer Miene musterte Luke ihn.

»Ich auch«, sagte er und stieg in den Fahrstuhl.