Bestimmt

In den letzten Wochen ist viel passiert. Obwohl ich unter illustren Bedingungen und prompt meinen Brotjob losgeworden bin, habe ich keine Zeit für diesen Blog gefunden. Neben dem Familienleben mit seinen Herausforderungen habe ich mich auf meinen Paris-Thriller gestürzt und mir überlegt, wie es weitergehen kann. Es war klar, dass ich nie wieder so einen Job haben möchte und mehr Stabilität, Nachhaltigkeit (und Finanzkraft) brauche, um mir als Familienvater den Luxus des Schreibens weiter in dieser intensiven Form gönnen zu können. Ich habe das Spielfeld weit geöffnet und kurz sogar überlegt, Programmieren zu lernen. Schnell wurde aber ersichtlich, dass ich besser etwas Sinnvolles mit meinen zwei schon eingesackten Diplomen anstellen und nicht zielstrebig wieder Tim-mäßig das ganz kalte Wasser ansteuern sollte. Herausgekommen ist, dass ich nun mit einer halben Stelle Lehrer für Musik und Wirtschaft am Gymnasium werde.
Es ist immer noch etwas surreal, aber es fühlt sich gut an. Ich habe es mir oft im Leben schwer gemacht, auch weil ich rastlos war und nicht ankommen wollte. Ich wollte nicht „sesshaft“ werden und mich definieren lassen und habe mir die ganz hohen Berge ausgesucht, um mich in der Bewegung zu halten. Das alles hatte erklärtermaßen eigentlich dazu dienen sollen, um mir beim Schreiben einige Bergtouren zu ermöglichen, was im Rückblick absurd anmutet.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, wie intensiv das Schreiben mit allen seinen Herausforderungen und Rollenproblemen bei mir ausfällt und dass auf Abkürzungen nicht zu hoffen ist. In diesem Sinne ist auf der „Erwerbsseite“ ein Gegenmodell vonnöten, nicht die gleiche Instabilität und Selbstausbeutung in anderem Gewande. Einfach so nun Schüler zu unterrichten, ist ein gehörig kalter Teich, aber ich habe große Lust darauf. Ich spiele wieder Gitarre und freue mich darauf, Stücke zu komponieren und jungen Menschen Perspektiven aufzuzeigen und von ihnen auf das Wesentliche gestoßen zu werden. Alles passt. Die Schule sieht aus wie bei Harry Potter und sie ist auf der anderen Seite von unserer pittoresken Berliner Schlossinsel. Das alles freut und erleichtert mich (trotz der überaus spannenden Rudergänge, die mich erwarten). Geradezu euphorisch werde ich allerdings bei dem Gedanken, meiner privaten Krankenversicherung nicht mehr jeden Monat 400 Euro für nichts in den servicearmen Rachen zu werfen.

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Auch in Bezug auf meine neuen Frankreich-Thriller hat sich viel getan. Ich habe wie immer viele Ideen gehabt und geplotet wie der Teufel. Ich habe nach einer Weile trotz des nicht unbeträchtlichen (selbstinduzierten) Erfüllungsdrucks Wahrhaftigkeit zugelassen und gemerkt, dass ich einen Musterwechsel brauche. Das Buch war wahnsinnig opulent, es wirkte auf einmal (auch aus wirtschaftlicher Sicht) bescheuert, es so zu lassen. Daher habe ich zwei der Rückblicksepisoden ausgekoppelt und die Uhr in der Geschichte um 18 Jahre zurückgedreht. Beim Ploten hilft mir nun das schöne Programm Drama Queen (passender Name!) und es kommt alles in die Ordnung. Manchmal verzweifle ich daran, dass bei mir alles immer komplex und tief gerät, so sehr ich mich auch um Einfachheit und Effizienz bemühe. Es ist an der Zeit, auch das (so) sein zu lassen. Man kann nicht aus seiner Haut. Aus mir wird nie ein Groschenromanschreiber und das ist gut so. Feuerwerk ist meine Sache, ich sollte es einfach abfackeln, ohne mich immerzu umzusehen.

In den letzten Tagen habe ich noch eine Änderung zugelassen. Ich habe immer eine großen Bogen um meinen Erstling gemacht. Er war der typische halbautobiographische Schinken, der sehr nahe an einem selbst und notwendigerweise nicht in jeder Hinsicht elaboriert und elegant ist. Ich habe schon früh das Feedback bekommen, dass er den Ton trifft und auch von Autorenkollegen bestätigt bekommen, dass man ihn sehr wohl auf Marktreife bringen kann und er nichts für die Schublade ist. Ich habe mich mit meinen Thrillern lang gemacht und fantastische Welten erfunden. Die Finger haben Reißbäche geblutet. Trotzdem gibt es einige, die den Erstling vorziehen. Wahrscheinlich habe ich trotz der Makel tatsächlich für kein Buch so einhellig gute Rückmeldungen bekommen wie für Treibholz Engel. Es ist irgendwie sperrig und jung, wenngleich zeitlos. Es ist alles andere als cool und technisch wenig meisterhaft. Es ist ein authentisches Erstlingswerk über eine schwierige Jugend, die anscheinend genau durch ein gewisses Maß an Unreife Authentizität und damit Kraft und Wert bekommt.

Ich bin etwas zwiegespalten, was das Buch betrifft, aber ich fasse es wieder gerne an. Auch das ist der richtige Schritt für mich. Nach den Metropolis-Büchern habe ich mit den Frankreich-Thrillern einen einfacheren Weg versucht. Dafür habe ich Lob von den einen für die klare und unverschwurbelte Sprache und Enttäuschungen von den (wenigen) anderen bekommen, die genau das vermissten, was sie besonders geliebt hatten.
Der Weg zur Einfachheit war ein langer und er wurde bei voller Halse aufgegeben. Ohne sie als das zu erkennen, waren die letzten 1,5 Jahre nicht nur von einer umschriebenen Schaffenskrise, sondern auch von einer Existenzkrise geprägt, die nicht ganz zufällig mit der Geburt meines kleinen und sehr geliebten Sohnes zusammenfiel. Wenn ein anderer Mensch auf einmal alle Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht, muss der Egozentriker besonders rudern. Es geht darum, klar zu kommen und mit allem Überfluss an Eindrücken und Mangel an Schlaf zurechtzukommen. Die Tage sind sehr lang und viel zu kurz. Es geht darum, abgesehen von der Elternrolle überhaupt noch irgendetwas zu sein. Darum, was wichtig ist für einen und alle. Wer man ist. Wer man authentisch und wirklich ist.

Mit Treibholz Engel geht es nun zurück zu den Ursprüngen. Zu der Zeit, als ich keinen Plan hatte mit den Worten und nicht einmal verstanden habe, dass ich ein Buch schreibe. Ich habe damals Musik studiert und habe die Chance bekommen, große Produktionen mit Sinfonieorchester, Band und sechsstelligen Budgets zu machen. Die große Karriere war am Laufen, es war keine Zeit für Studium und Leben; genug Zeit, sich zu verlieren. Die letzten 9 Monate waren damals nur noch Psychokrieg mit dem Schattenproduzenten. Wir haben den Machtkampf mit ihm gewonnen und einen markanten Pyrrhussieg gefeiert, um dann nach Intrige aus Madrid direkt bei der Übergabe des fertigen Masters gefeuert zu werden. Ich war gerade aus meiner 7 qm Studentenbude in eine große Wohnung gezogen und habe mich darauf gefreut, die nächsten 10 geplanten CDs unter würdigen Bedingungen zu produzieren. Stattdessen hatte ich nun viel Zeit und habe jeden Tag im Stadtpark verbracht.
Es war Frühling. Die Karriere war weg, der Stress auch, alles blühte. Auf einmal hatte ich die Idee, meine frühen Schreibversuche aus der Schulzeit wieder aufzugreifen und eine Kurzgeschichte zu schreiben. In etwa so:
Ein Typ wacht mitten in der Nacht auf, erinnert sich an seine Jugendliebe und pennt dann wieder ein. Keine große Sache. Nur etwas, das raus wollte und nach Jahren des Haderns mit der Schule und dem Aufwachsen dran war und raus sollte.
Alles war so besonders und ich so sehr in der Geschichte, dass es mich nicht nachdenklich gemacht hat, wie lang die vermeintliche Kurzgeschichte wurde. Irgendwo habe ich sie Novelle genannt. Nach der Hälfte habe ich akzeptiert, dass es ein Roman wird. Das letzte Drittel habe ich in drei Tagen geschrieben. Ich habe nichts mehr gegessen (außer Snickers), nur das Nötigste geschlafen und als ich fertig war, habe ich in der Badewanne gelegen, während sich über Hamburg ein Sommergewitter biblischen Ausmaßes ergoss.

All das war vor über 15 Jahren. Es ist weit weg und auf einmal ganz nahe dran. Ich habe meine Gitarren von der Wand geholt, bald werden die Audiospuren und das Sequenzerfenster mein Zimmer wieder in mattes nachtblau hüllen. Schreiben wird meine Mission bleiben, aber das Umfeld wird sich wieder verändern, der Kern muss freigelegt werden. Das ist ein weiterer Umweg, aber einer, der Sinn ergibt.
In den letzten Monaten habe ich mich oft (bei mir) beklagt, dass ich Tunnel um Tunnel bohre und immer weiter reingerate in den Berg (ohne Licht zu sehen). Nun bohre ich von der anderen Seite und habe das Gefühl, dass ich einem Durchbruch nahe bin. Oder einer tiefen Höhle mit Goldschatz und Schlussstein. Was auch immer. Alles soll sein. Alles ist, wenn man in sich angekommen und mit allem um einen zuhause ist. Vielleicht zum ersten Mal, seit man irgendwann nicht anders konnte, als sich all diese Fragen zu stellen.