Freie Zeit

Vorgestern Nacht bin ich aus Mallorca zurückgekehrt. Es war primär Urlaub mit Freundin, aber ich habe trotzdem viele Inspirationen mitgenommen. Am Anfang war ich skeptisch, ob es reibungslos funktionieren würde, vom Jobstress, der mir alle Routinen zerschossen hatte, direkt in den anderen »Ausnahmezustand« (Urlaub) zu wechseln. Das hat sich aber schnell erledigt, ich habe die Zeit in vollen Zügen genossen. Die Insel ist (natürlich) sehr schön und inspirierend mit ihren Mikrokosmen aus Bergen, Stränden, Buchten, Städten und Ländereien. Wir sind viel herumgefahren und in gewisser Weise war es sogar sehr gut, dass ich keine Zeit gehabt habe, die Kapitel neu zu schreiben, die ich neu schreiben wollte. So hatte ich mehr Gelegenheit darüber nachzudenken und die Ideen zwanglos auf Nachhaltigkeit zu prüfen.

Ich habe mich nicht oft zurückgezogen, um die Gedanken bewusst um das Buch schweifen zu lassen, aber immer wenn ich mich z. B. mit Kaffee und Notizbuch auf die Terrasse des alten Klosters auf dem Puig de Sant Salvador bei Felanitx zurückgezogen habe, kamen die Ideen wie von selbst. Am Ende konnte ich mich »ruhigen Gewissens« treiben lassen, weil ich im Kopf alle Probleme, die ich vorher mit mir herumgetragen hatte, gelöst hatte.

Blick von der Terrasse des Sanctuario de San Salvador auf die Gegend bei Felanitx

Blick von der Terrasse des Sanctuario de San Salvador auf die Gegend bei Felanitx

Input gab es also genug, nun bleibt nur noch die Frage zu klären, wie ich diese Anregungen umsetzen kann. Die angesprochenen Probleme beziehen sich auf die Mitte des Buches. Es sind keine großen Änderungen, aber die Statik des Romanes hängt daran, ich brauche wenigstens etwas Zeit dafür. Unglücklicherweise habe ich direkt nach der Landung erfahren, dass ich auch in den nächsten Wochen keinen einzigen freien Tag haben werde.

Überhaupt nicht frei zu haben, ist indiskutabel, doch generell stellt sich die Frage, wie gut man eine solche Romanreihe wie die Metropolis-Reihe nebenher gestemmt bekommt. Seit vielen Jahren suche ich nach einem Konzept, um genug Geld zu verdienen und trotzdem genug Zeit fürs Schreiben zu haben. Das klappt mal mehr und mal weniger. In der Regel eher weniger, da ich immer an sehr anspruchsvolle Jobs gerate, deren intellektuelle Herausforderung sich nicht gut aussitzen lässt. Schreiben und Entfaltung brauchen aber Freiraum. Fast alle meine Bücher habe ich daher direkt nach einer Kündigung geschrieben oder in der Zeit, in der ich nachts in Bars gearbeitet und tagsüber frei hatte.

Wenn man jung ist, neigt man zu s/w-Zeichnungen. Man über- und untertreibt und macht vieles, um sich der Standpunkte zu versichern, die man selbst nicht klarziehen kann. Umwege gehören zur Route, über die Jahre habe ich aber dazugelernt und habe die Dinge nun ganz gut im Griff. Ich kann schreiben, ohne zu kündigen, trotzdem taucht immer wieder die Frage auf, ob nicht radikalere Entscheidungen – quasi eine bessere und klarere s/w-Zeichnung – nötig wären, um noch besser arbeiten und leben zu können.

Diesen Gedanken folgend musste ich heute morgen an eine Situation aus dem Jahre 2008 denken. Ich schrieb damals das Buch, das nun der dritte Teil der Reihe wird (»Angelus Novus«, Trailer siehe oben), und baute für die Hochschule für Musik und Theater einen Fernstudiengang auf. Der Job war sehr fordernd, wir bauten das Studium für über 500 Studierende buchstäblich auf die grüne Wiese. Mein Herz hing nicht an der Sache. Ich hatte weder Ahnung von noch Interesse an diesen Strukturen, aber die große Herausforderung und die Pflicht hielten mich bei der Stange (»Was man beginnt muss man auch zu Ende führen.« etc.).

Ich hatte schon immer eine etwas fatale Faszination für solche unmöglichen Missionen. Je weniger Kenntnisse ich von einer Sache hatte, desto reizvoller wirkte sie oft. Probleme blieben auch deswegen nicht aus, weil mir immer die Rolle des Sanierers bei laufendem Betrieb zukam. Wenn die Probleme (er)drückend sind und alles hochkomplex ist, ist es naheliegend, die Dinge alle selbst zu erledigen. Warten ist keine Option. Das war auch damals an der Uni so. Vieles hing an mir, der Institutsleiter brauchte mich existenziell dringend, trotzdem waren wir fast die ganze Zeit im Kampfmodus. Wir hatten Erfolg, trotzdem merkte mein Chef, dass ich nur »halbe Kraft« fuhr. Er wollte (viel) mehr und sah, dass ich noch viel mehr gekonnt hätte. Er versuchte mich zu provozieren und zu locken, lief aber ins Leere, denn ich musste mir die anderen wichtigen Prozente meiner Kraft und Aufmerksamkeit fürs Schreiben bewahren.

Für ihn wirkte es so, als ob er mir die große Karriere bot. Er winkte nebulös mit Juniorprofessur und Aufbau einer Dependence in Shanghai. Er versprach mir umfassende Entscheidungsbefugnisse und Gehaltserhöhungen und verstand nicht, wie ich all das ausschlagen konnte und mich ihm verschloss. An einem Tag sah er mich komisch an und versuchte mich auf eimal fast aggressiv dazu zu überreden, dass ich konsequent alles hinschmeißen und mich nur noch dem Schreiben widmen sollte. Er sagte, dass ich eh nur schreiben wollte und kein Angst haben sollte und brauchte. Einer wie ich würde das schon schaffen und ich könnte ihn immer anrufen, wenn ich mit Bleistift und Papier in südlichen Ländern herumstromerte und mir das Geld für mein Frühstück fehlte.

Damals kam mir das zynisch, absurd und unpassend vor und das war es wohl auch. Trotzdem hatte er deutlicher als ich erkannt, dass ich lieber arm und hungrig und mit Zeit zum Schreiben lebe, als gesättigt und ohne. Dass es irgendetwas in mir gibt, das mich unglücklich macht, wenn es da bleibt und nicht recht herauskommt.

Wahrscheinlich hatte er Recht, ich würde es auch hungrig, mit dem Bleistift in der Hand und dem leeren Kalender im Geiste schaffen. Andererseits habe ich lange genug hungrig gelebt. Hunger ist nicht der Motor großer Ideen, sondern Klarheit, Leidenschaft und Zielstrebigkeit. Manchmal darf man die großen Entscheidungen nicht scheuen, aber letztendlich ist alles eine Frage der Organisation und des Willens. Romantik kann eine Falle sein. Geld schadet nicht, sondern hilft meistens auf dem Weg zu schönen Dingen.  Geld ermöglicht einem freie Tage und Urlaube wie diesen. Ich kann es nicht erwarten, den nächsten zu planen und derzeit sehe ich keinen Weg, das tun zu können, wenn ich mich tatsächlich der anderen Verpflichtungen entledige. Es sind nicht immer die großen Knöpfe, die Großes bewirken. Teufel und Heil liegen oft eng beieinander im Detail.

Anbei findet ihr ein paar Impressionen. Nur einige, da ich mein Telefon nicht immer dabeihatte. Die besten Bilder sind nur in meinem Kopf. Z. B. der Blick von der Bucht von Soller auf die hohen Berge hinter den in den Fels geschlagenen Häusern. Der Strand, die Palmen, die Boote und die zerklüfteten Steinkolosse darüber. Die kleine Bucht Cala des Moros, die wir nur nach längerer Irrfahrt und einem Marsch in sengender Sonne über das trockene Gestrüpp auf den hohen Klippen fanden. Das stille Meer bei Porto Christo in den frühen Morgenstunden, auf dem man an weißen Segelbooten vorbei von Bucht zu Bucht schwimmen konnte, um dann an den riesigen Kakteen vorbei zurück zum Haus zu gehen. Nur mit Salzwasser und Sonne auf der nackten Haut. Mit der Erkenntnis, dass man eigentlich doch keinen Job und Geld braucht, um glücklich zu sein und sich frei zu fühlen. Eigentlich.

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