Sehr lange war es hier still, nun möchte ich mich mit einem etwas längeren Bogen zurückmelden …
Das letzte Jahr war stark von unserem kleinen Sohn geprägt. Zwischen Familienleben und Arbeit habe ich jede freie Minute zum Schreiben genutzt. Dabei musste ich alle Rituale aufgeben, die ich mir vorher für mein Schreiben erschlossen habe. Die ersten Monate habe ich viel im Stehen geschrieben, weil ich nebenbei den Kleinen im Tuch in den Schlaf wiegen musste. In der Zeit danach lag er neben mir oder wir waren draußen. Die ganze Freizeit wurde von seinem Schlaf getaktet, unser Nachtschlaf auch. Ich habe in meiner Jugend viel Erfahrung mit Schlafentzug gesammelt, niemals aber auf solche Weise …
Am Ende des Tages blieben nicht viele Minuten, die es zu nutzen galt. Kraft war endlich, wenn etwas Raum blieb, trotzdem habe ich sehr viel geschafft. Schon am ersten Tag auf der Geburtsstation habe ich Ideen zu einer neuen Thriller-Reihe zu Papier gebracht. Ich habe in den Wochen danach ein ganzes Buch fertig geplotet und dann einen Teil davorgesetzt und den „fertig“ geschrieben. Trotz des Lobs für die Berlin Metropolis-Bücher ist mir in Erinnerung geblieben, dass sie zu schwer waren, um chartmäßig „abzuheben“. Sie waren besonders (verrückt) und das war in einem Marktsegment, in dem es um Unterhaltung und sichere Leseerwartung geht, ein offensichtlicher Nachteil. Die Leute hatten Respekt davor, einige hatten Angst, überfordert zu werden. Wenn man die Leute dazu gebracht hatte, das Buch in die Hand zu nehmen, waren sie zumeist aufrichtig begeistert, aber in der Anonymität des Shops konnte die Scheu nicht in dem Maße überwunden werden, wie ich es mir gewünscht hätte.
Die Zeit um Alvars Geburt war etwas ganz Besonderes. Zwei Monate davor habe ich im Rausch Metropolis III in erster Fassung geschrieben. Ich wollte möglichst viel zu Papier bringen, bevor diese neue Herausforderung in unser Leben trat. Ich habe danach recht schnell und bewusst die Entscheidung gefällt, Metropolis ersteinmal liegen zu lassen und auf eine neue Reihe zu setzen, die vielleicht mehr Leser gewinnen und mir etwas mehr Puffer verschaffen kann.
Ich habe geplotet und geschrieben und versucht, nicht zwingend wieder eine besonders originelle Genrevariation abzuliefern, sondern mich in meinen Mitteln zu reduzieren und auf die Plot-Architektur zu fokussieren.
Ich habe in der S-Bahn geschrieben, am See, auf dem Boden neben dem schlafenden Baby, tanzend mit ihm im Tuch. Manchmal bin ich auf dem Weg zur Arbeit nach zwei S-Bahn-Stationen in Schöneweide eingeschlafen und hatte genug damit zu tun, den Kopf halbwegs hoch zu halten. Manchmal ging es wie im Rausch. Immer wieder habe ich mir misstraut und beim Blick zurück doch keine Anzeichen für Pessimismus finden können. Die Zweifel blieben, aber auch das Feedback der Testleser zur ersten Fassung war sehr gut und in der Art wie erhofft. Alles wirkte so, als ob ich auf das richtige Pferd gesetzt hatte.
Dann kam mein Lektor Daniele …
Auch er hatte im ersten Abschnitt einiges gelobt und gesagt, dass es ein gutes Buch wird. Die erste Hälfte des zweiten Abschnitts hat er noch mit „gut gemacht“ quittiert (eigentlich lobt er grundsätzlich nicht). Dann habe sich ein paar Tendenzen innerhalb weniger Kapitel so zugespitzt, dass er mir ein hartes Gutachten geschickt und mir gespiegelt hat, dass ich mehr kann als das und ich tiefer bohren muss.
Als Danieles „Schiffbruchs“-Mail bekam, war Alvar gerade am Aufwachen. Meine kleine Pause neigte sich dem Ende entgegen. Die Nacht davor war wie immer geprägt von Stop-And-Go-Schlaf und der Kopf tat weh. Schon zuvor war alles an dem Projekt und seinen Umständen sportlich gewesen. Daniele hatte den zu erklimmenden Berg gefühlt um einige Kilometer höher gemacht. Ich stand auf einmal zwischen den Trümmern meiner Pläne und hatte nicht einmal die Zeit, mir seine Anmerkungen ein zweites Mal durchzulesen oder wenigstens ein paar Krokodilstränen zu verdrücken. Alvar schrie nebenan und ich wusste, dass ich bis zum Abend keine Zeit mehr haben würde. Vorher hätte ich nach einer solchen Krise, die bei mir immer mein ganzes Wesen in Frage stellt, ein paar Tage mit der Welt gehadert und dann kompromisslos den Kampf angenommen. Fürs Hadern war nun ebenso wenig Raum wie fürs Kämpfen. Statt Krokodilstränen galt es ein hungriges Baby zu versorgen. Generell ging ohne Kompromisse nichts mehr. Ich wollte das alles so schnell wie möglich reparieren, Schreiben war aber weiterhin nur auf den zersprengten Inseln möglich, die Familie und Leben einem ließen. Alles war schwieriger zu kompensieren, man war eh am Limit. Früher hatte ich täglich Ausgleichssport gemacht und gebraucht, auch dafür war kein Raum. Es war eine Zerreißprobe, aber es war gut so.
Daniele hat etwas eingerissen, das ich nicht für mich aufgestellt hatte. Eine Bastion war gefallen, die hatte fallen müssen, ich war wieder auf dem richtigen Weg, auch wenn er weh tat. Trotzdem wusste ich manchmal nicht, woher ich Zeit, Geld und Kraft nehmen sollte, um aus diesem Tal wieder herauszukommen. Wenig später wurde mir klar, dass ich exakt für diese Grenzgänge lebe und schreibe. Ich könnte nicht damit leben, am Fließband seichte Bücher zu schreiben und effizient die Taler einzufahren, wie es das anderen Kollegen so bewunderswert einfach gelingt. Ich habe immer dafür geschrieben, um mir die Welt mit schönen und kunstvollen Dingen für mich (und für andere?) ein Stück weit ruhiger und angenehmer zu machen. Ich bin ein politischer Mensch, der klare Werte hat und so viel Schweres in sich hat, dass er gerne versuchen kann, Schweres und Tiefe beim Schreiben auszusparen, wenn er unbedingt ganz verrückt werden will.
Ich habe mich schon sehr früh in vielerlei Weise heimatlos gefühlt und irgendwann versucht, mich in der Welt heimisch zu fühlen, indem ich meine Dämonen banne und mich mitteile. Der Kampf mit dem Unmöglichen war meinen Dämonen gewidmet, sie schienen sich nur so herausfordern zu lassen. Dass ich in dieser neuen Lebenssituation den Kampf nur noch so kämpfen konnte, dass er quasi nebenbei gelang, war eine Art Schocktherapie, aber trotzdem gut. Ich musste sehr geduldig sein und Geduld gehört nicht zu meinen Tugenden. Ich habe über ein halbes Jahr gebraucht, um den ersten Teil (von fünf) polyphoner zu machen. Ich habe die Struktur aufgebohrt, mehrere Handlungslinien dazugeschrieben, an den Dialogen und einfach allem gefeilt und der Geschichte und ihren Figuren mehr Wasser unter dem Kiel gegeben.
Beim Arbeiten ist mir aufgefallen, dass »Tage der Toten« nicht zwingend zu schwer und zu komplex war, sondern nur den Anschein hatte, was etwas anderes ist. Die vielen Perspektiven waren nicht das Problem, der Umfang auch nicht. Ich habe auch damals monatelang gekämpft, um alles in die richtige Form zu bringen und die Rechnung ging auf. Ich wollte es mir mit dem nächsten Buch beim Schreiben leichter machen, aber der Grund, warum ich bei Metropolis so kämpfen musste, war darin zu suchen, dass ich gleichzeitig zur komplexen Handlung diese komplett abgefahrene dystopische Welt zeigen (und erklären) musste. Der größte Marktblocker war auch nicht der Anspruch und das Besondere, sondern der Umstand, dass es in der Zukunft spielt, was die Leserschaft einschränkt.
Es ist doll, wie klug man immer hinterher ist. Wie klar man Dinge sehen kann, wenn man sie erstmal ordentlich umkreist (und sich in ihnen verlaufen) hat. Ich hatte in den letzten Monaten den Eindruck, dass ich klar sah und die Ideen sind nur so gesprudelt. Die Zweifel blieben, die Erschütterung war zu umfassend gewesen und ich musste sie quasi mit offener Flanke über Monate aushalten.
Die ganze Zeit war klar, dass Daniele der einzige Scharfrichter sein konnte, weil das Buch den Testlesern mit einer Ausnahme auch vorher schon sehr gut gefiel.
Gestern kam sein „Urteil“ und es war viel besser, als ich es mir mit meinen Ressourcen hätte erhoffen können. Er fand die neuen Figuren gut und stellte erstaunt fest, dass er fast nichts mehr zu meckern hatte. Sein Gutachten mündete in folgender Aussage:
»Der Qualitätssprung ist förmlich auf jeder Seite spürbar. Ich finde den Text, wie er jetzt ist, sogar so gut, dass ich Dich bitten würde, nicht noch einmal zu viel umzustellen oder zu verwerfen, sondern ihn an den entscheidenden und im Textdokument von mir bemängelten Stellen so lange zu überarbeiteten, bis alle Ungereimtheiten verschwunden sind und das Ganze glänzt und strahlt.«
Ich würde das gerne sofort angehen, aber ich habe das Werk in den anderen Teilen noch aufzubohren und anzureichern. Da wir keinen Kita-Platz haben und meine Freundin und ich beide abwechselnd arbeiten und uns um den Kleinen kümmern, wird auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht viel Zeit für diesen Blog bleiben, aber ich werde immer wieder Stellen posten und Euch auf dem Laufenden halten. Ein bisschen ist das Tunneldasein vorbei, viel mehr davon hätte ich auch nicht ausgehalten …
Gerade ist Buchmesse. In den letzten Jahren habe ich alle Messen mitgenommen, nun habe ich nicht einmal gemerkt, dass sie ansteht. Mich fasziniert es, wie tief man in ein Buch einsteigen kann und von ihm fast bezwungen wird. Eine Weile wird es mich noch in Atem halten, aber es tut gut, den Blick wieder etwas auf den Horizont zu richten. Es wird Zeit …
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